KÖRPER KONTAKT TEXT

LABORPUFF IN WIEN -
EIN TEXT NACH DEM

LABOR FÜR PERFORMANCE UND POSTDRAMATISCHES
AGIEREN 3.2

von Martin Nachbar

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PROLOG

"Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt." (Hannah Arendt)


ANFANG

Wien im April. Das Frühjahr pocht an die Tür und an die Schläfen. Manchmal pocht das Frühjahr in den Lenden. Der Körper sucht nach Kontakt mit anderen Körpern. Ich nehme das wahr und laufe von meiner Wiener Bleibe, einer Wohnung, in der ich ein Zimmer erhalten habe, zur nächsten U-Bahnstation auf dem Währinger Gürtel an einem Puff vorbei. Vormittags ist er geschlossen. Ich nehme die U6 und steige am Westbahnhof in die U2 um. Am Volkstheater steige ich aus und gehe zum Museumsquartier. Durch dessen herrische Höfe komme ich schließlich zum Tanzquartier Wien. Es liegt in eine Ecke gedrängt, im Schatten einer der großen Kunstbetonkästen, erreichbar durch eine kleine Tür und über mehrere Stufen nach oben. Dort findet das Labor für Performance und postdramatisches Agieren 3.2 statt.

In einem der zwei Studios treffe ich die anderen Teilnehmer dieses Labors: Sabine Sonnenschein (Initiatorin des Projekts), Nicole Haitzinger (Tanztheoretikerin), Stefan Nowotny (Philosoph), Michaela Pöschl (Videokünstlerin). Nach dem ersten Kennen Lernen sitzt man auf Stühlen im Kreis zum Teil mit Notizblöcken auf den Schößen und mit Stiften in den Händen. Michaela hat ihre Füße auf einen Stuhl gelegt, den sie vor sich gestellt hat. In einer Ecke stehen ein Fernseher, ein Videogerät, einige Mikrophone. Wir reden von uns selbst, und wir reden von unseren Erwartungen an dieses zweiwöchige Labor. Auch an den folgenden Tagen reden wir. Über Philosophie. Weniger über uns selbst. Die Begriffe schwirren im Raum und im Kopf.

Der Heimweg vom Labor führt wiederum am Puff vorbei. Am Abend hat er auf. Die Prostituierten sprechen mich an und versuchen, Geschäfte mit mir zu machen. Eine stellt sich mir in den Weg und drückt ihre Brüste an mich.

Körperkontakt Nummer eins.

Sie zählt die Möglichkeiten ihrer Zuhandenheit auf: Nackt, mit Berühren, ohne Berühren, mit Getränk, ohne, französisch....quel bordell. Merci, madame. Dankend lehe ich ab und gehe zu meiner Bleibe um die Ecke.


EIN PERSÖNLICHES BEGRIFFSLEXIKON

Aufwärmen:
Tätigkeit, die den Körper für eine bestimmte Tätigkeit vorbereitet, d.h. die Muskeln lockert, die Gelenke sensibilisiert und die Wahrnehmung schärft

Bewegen:
den Körper oder Teile des Körpers in Raum und Zeit in seiner/ihrer Position(en) zueinander und im Raum verändern, meist mit einer bestimmten Intention oder einem Ziel; andere Menschen zu einer Tat veranlassen; Gefühle oder Emotionen hervorrufen

Demonstrieren:
im öffentlichen Raum, meist auf den Straßen einer Stadt, die eigene Meinung zu einer parlamentarischen oder sonst wie öffentlich hervorgebrachten Entscheidung äußern; meist in Gruppen, die in Zügen durch die Stadt ziehen und an bestimmten Plätzen verweilen, um dort verstärkt besagte Meinung kundzutun; muss immer polizeilich genehmigt sein, ist aber gleichzeitig verbunden mit einem Recht zum Demonstrieren

Form:
in der Kunst das Produkt, welches aus einer Reihe von teils bewussten, teils intuitiven ästhetischen, aber auch politischen Entscheidungen entsteht; in den ausführenden Künsten, vor allem im Tanz, stellt dieses Produkt kein statisches Objekt dar, sondern ein fließendes Ganzes, das zufälligen sowie bewussten Veränderungen unterliegt; die Form eines Kunstwerkes ist seine Sprache, die an der Oberfläche des Schaffensprozesses erscheint und vom Zuschauer oder Betrachter gelesen und interpretiert wird

Handeln:
etwas unternehmen, das eine Auswirkung hat; allerdings ist diese Auswirkung nicht das Ziel des Handelns; Handeln ist nach Arendt sich selbst Zweck; es gibt nichts jenseits "der Aktualität seines Vollziehens" zu erreichen; d.h. der/die Handelnde vollzieht im Handeln einen selbstgenügsamen Akt, mit dem er/sie nicht über das Handeln hinaus weisen will, es aber dennoch tut; hier ergeben sich Verbindungslinien zur Kunstproduktion, die in ihrer Verschwendung von Produktionsmitteln wirtschaftlich gesehen sinnlos und unproduktiv ist; trotzdem oder gerade deshalb ist die künstlerische Produktion oftmals ein Handeln

Körper:
ein Objekt mit Volumen und Masse; menschlich gesehen ein komplexes System, bestehend aus mehreren, ebenfalls komplexen Subsystemen; ist vielerlei Gefahren und Beanspruchungen ausgesetzt und kann sich verletzen oder krank werden

Kontakt:
wörtlich: Berührung mit; in Kontakt können alle Körper mit Oberflächen treten; in der Elektrik ist ein Kontakt eine leitfähige Berührung zwischen zwei Leiterenden; das Wort beschreibt auch die sozialen Verbindungen zwischen Menschen; Kontakte, soziale wie physische, können von unterschiedlichster Dauer sein

Labor:
geschützter Ort, an dem Versuchsanordnungen durchgeführt werden, um zuvor aufgestellte Thesen zu beweisen oder zu widerlegen; im weiteren Sinn der Platz, an dem und durch den sich eine Handlung vollziehen kann

Migration:
wörtlich: wandern; Tätigkeit, die den/die Ausführende/n von einem Ort zum nächsten bringt; letzterer wird von den Migranten meist als Fremde bezeichnet und gleichzeitig als Heil bringend empfunden; die an besagtem Ort Ansässigen sehen die Migranten oft als Eindringlinge; immer geht es bei der Migration um Territorium

Öffentlich:
alles, was sich nicht in einer Wohnung oder in einem Eigenheim abspielt ist im urbanen Kontext als öffentlich anzusehen; Öffentlichkeit beinhaltet immer einen Anteil Spielens und theatralen Auftretens; Ausnahmen bestätigen die Regel

Privat:
alles, was sich nicht außerhalb einer Wohnung oder eines Eigenheims abspielt ist als privat anzusehen; Ausnahmen bestätigen die Regel

(Puff:
Raum oder Räume, in denen Geschäfte abgewickelt werden, die sexuelle Dienstleistungen beinhalten; befindet sich aufgrund des Nebeneinander von Handel und sexueller Intimität an der Schnittstelle von öffentlich zu privat; im Französischen heißt Puff bordell; mit dem Ausruf "Quel bordell!" sagt der Franzose "Welch eine Unordnung!"; Unordnung ist, was die Polizei bei Demonstrationen um jeden Preis vermeiden will)

Raum:
ein durch irgendwelche Grenzen markiertes Volumen; ist dieses Volumen groß genug, können sich Menschen darin aufhalten; sind diese Grenzen Mauern, so handelt sich um einen Hof; gibt es ein Dach über dem Hof, so handelt es sich um einen Innenraum, der dann Zimmer, Saal u. ä. heißt; die Polizei spricht von Räumen, wenn sie auf der Straße, z.B. bei Demonstrationen, Menschenmassen führt, vor allem dann, wenn es sich um zwei gegnerische Demonstrationszüge handelt, die beide ihren Raum beanspruchen; in diesem Fall wie auch im Fall von Zimmern und Sälen sind Räume gestaltbar oder einfach zu zu machen

Sprechen:
komplexer Vorgang, bei dem Information sowie Redundanz mittels des Stimm- und Sprechapparats (Sprechwerkzeug) geäußert wird; das Sprechen braucht mindestens zwei Parts, den Sprecher und den Zuhörer, wobei diese beiden Rollen auch in Personalunion auftreten können

Spur:
vom Verursacher meist ungewollte Hinterlassenschaft, die auf eine Handlung hinweist, die zuvor an der Fundstelle der Spur stattgefunden hat; diese Hinterlassenschaft kann materieller oder immaterieller Art sein

Tanzen:
Tätigkeit, bei der der/die Ausführende das komplexe System Körper durch Raum und Zeit bewegt; Tanzen ist durch Komposition in Form gebrachte Bewegung; es kann in einem Tanzstudio ohne Zuschauer stattfinden oder in einem Theater vor Zuschauern; beides ist öffentlich, wobei ersteres in einer Abstufung zu letzterem auch als privat zu bezeichnen ist; vor allem im Theater ist Tanzen immer auch ein Handeln, das Spuren bei allen Beteiligten hinterlässt ("eine bewegende Aufführung"); Tanzen erfordert von den Ausführenden, dass sie sich mit kleinen Bewegungen aufwärmen, bevor sie zu größeren übergehen, da sonst die Gefahr einer Verletzung besteht; Tänzer und Tänzerinnen befinden sich in der paradoxen Situation, dass ihnen ihr Körper für die auszuführende Form zuhanden ist, während er gleichzeitig Teil ihres Wesens und ihrer Person ist und beide teilweise ausmacht; in Situationen, in denen Zuschauer oder Betrachter zugegen sind, werden die Körper der Tänzer in der Ausführung einer Form zu Sprache; es entsteht dann eine Art Text, die vom Zuschauer gelesen und interpretiert wird, Körper werden kon-text-ualisiert; dies trifft auch in Tanzformen zu, die als soziale Ereignisse keine offizielle Trennung zwischen Zuschauer und Ausführenden haben, wie z.B. in der Disko oder auf Tanztees; aufgrund der Durchlässigkeit der Rollen ergibt sich eine komplexe Struktur von Zeichenproduktion und -rezeption, deren Untersuchung nicht so sehr formsprachlich, d.h. ästhetisch, zu unternehmen ist, sondern vielmehr soziologisch; Tanzen kann auch als Metapher für scheinbar organisierte (d.h. bewussten ästhetischen Entscheidungen unterliegende) Bewegungen von Tieren, Tierherden, Bewegungen von Menschenmassen und anderen Erscheinungen gebraucht werden

Versprachlichen:
das Zur-Sprache-Bringen von Erfahrungen; Versprachlichen ist aber auch selbst Erfahrung und kann im extremen Fall (z.B. beim Aussprechen eines lange gehegten Geheimnisses oder einer traumatischen Erfahrung) befreiende Wirkung für den/die Sprechende/n haben; im weiteren Sinn kann Versprachlichen und Sprache auch ohne das gesprochene oder geschriebene Wort stattfinden; es handelt sich dann meist um Kunst, d.h. in Form gebrachte Bestandteile, die zusammen ein ästhetisches Ganzes bilden

Zeit:
schwer zu bestimmendes Phänomen, das vor allem durch regelmäßige und zyklische Wiederholungen von bestimmten Ereignissen (z.B. die vier Jahreszeiten oder Tag und Nacht) und durch das stetige Altern des eigenen Körpers wahrgenommen wird; Zeit kann gemessen werden, wobei die Maßeinheiten teils natürliche Grundlagen (Zyklen von Jahreszeiten oder des Mondes) haben, teils als willkürliche Entscheidungen erscheinen (die Einteilung eines Tages in Stunden, Minuten und Sekunden); im allgemeinen Sprachgebrauch vergeht die Zeit; sie wird als flüchtig gewertet und hat damit indirekte Verbindung zur Migration: woher kommt die Zeit, wohin geht sie, nachdem sie da war, und woher kommt die neue Zeit

Zuhandenheit:
ein von Martin Heidegger geprägter Begriff, mit dem der Bezug des Menschen zu einem Werkzeug beschrieben wird; es ist ihm zuhanden


DRAUSSEN WIRD ÜBERDACHT (UND WIRD) DRINNEN

Im Labor reden wir unter anderem über den Bezug des Werkzeugs zum Menschen. Stefan spricht von der Heideggerschen Betrachtung dieser Verbindung. Er erwähnt den Begriff der Zuhandenheit, der beschreibt, dass der Bezug zwischen Werkzeug und Mensch ein anderer ist als der unter Menschen oder der zwischen Menschen und Dingen, die keine Werkzeuge sind. Es ist schwierig zu bestimmen, welches Ding eindeutig kein Werkzeug ist.

Am nächsten Tag schlage ich eine Übung vor: ein Person probiert, Werkzeug zu sein, indem sie der anderen Person zuhanden ist, während diese andere Person versucht, sich das "Werkzeug" zuhanden zu machen. Zunächst probieren Michaela und ich diesen Vorschlag.

Körperkontakt Nummer zwei.

Das Problem dieser Übung ist, dass die Zuhandenheit eine nur gespielte ist. Ein Mensch kann einem anderen nicht einfach nur zuhanden sein. Dafür fehlt ihm die Leblosigkeit. Es gibt zu viele Kontakte auf zu vielen Ebenen (emotional, gedanklich, fleischlich etc), die eine Zuhandenheit durchkreuzen. Das Spiel wird zu einem mit sozialen Aspekten. Assoziationen von Beziehungen zwischen Herr und Sklave kommen auf. Wir sprechen über unsere Gefühle von Beklemmtheit, Macht und Ohmacht. Nach einigen weiteren Versuchen brechen wir ab.

Danach gehe ich zur U-Bahnstation, steige am Westbahnhof um, steige an der Volksoper aus und umgehe so den Puff und damit Körperkontakt Nummer drei. Ich denke an Sigmund Freud, der gesagt hat, dass Wien überdacht ein einziger, großer Kontakthof wäre. Ich steige die drei Stockwerke zu meiner Wohnung. Als ich die Tür aufschließe, frage ich mich, ob eine Prostituierte ihrem Freier zuhanden ist. Was für eine Art von Kontakt findet zwischen diesen beiden Parts statt ? Beinhaltet ein solches Geschäft ein Handeln ? Ich gehe ins Bett und träume von immensen Innenräumen, in denen Theater gespielt wird, so etwas wie überdachte öffentliche Räume.


MENSCHEN, STRASSEN, SENSATIONEN

"A central question of the laboratory revolved around the topography of the lab. Where is it, where is the space of the laboratory? The lab is more than a collection of research methods, because it connects these to a specific space. According to philosopher Isabelle Stengers, the laboratory is essentially a closed place. There is less unanimity concerning the materiality of this space. Biologist and philosopher Francisco Varela defends the concept of a subjective laboratory that results from a form of meditation, a closed space that can be transported anywhere: the portable lab. Bruno Latour doubts the transportability of the laboratory. Doesn't one always fail when trying to repeat an experiment in another place or in another time slot? Physical and cultural factors play a fundamental role even in the closed rooms. But they actually become visible only by the transfer." (Steven De Belder in "Science as a Metaphor for the Practice of Dance)

Am Ende der ersten Woche gehen wir auf Vorschlag Sabines auf die Straße. Mit uns eine Videokamera und ein MD-Aufnahmegerät mit Mikrophon.

Anlass sind zwei Demonstrationen: Die erste ist eine rechtsnationale und faschistische Reaktion auf die Eröffnung der zweiten Version der Ausstellung "Die Verbrechen der Wehrmacht" in Wien. Bezeichnenderweise hat die Polizei den zu erwartenden 150 Demonstranten den Heldenplatz als Ort ihrer Kundgebung zugewiesen. Dort, wo sich Österreich 1938 endlich und lautstark zu seiner großen Sympathie mit den Nationalsozialisten aus Deutschland bekennen durfte. Gleichzeitig ein leicht zu überschauendes und isolierbares Terrain.

Die andere Demonstration ist eine linke und teilweise linksradikale Reaktion auf diese erste am Heldenplatz. Die Ausführungen Stefans zu den verschiedenen Strömungen, die auf dieser Gegendemonstration erscheinen werden, verstehe ich nur teilweise. Klar ist mir nur, dass Demonstrieren, egal ob links oder rechts, immer mit Kundgeben und Marschieren zu tun hat.

Die Helden der Wehrmacht und ihre Verbrechen, die Glatzen auf dem Heldenplatz in Verteidigung einer Ehre, und die Linken auf dem Marsch durch die Straßen in Richtung Heldenplatz.

Wir gehen zunächst mit den Linken, stellen Fragen, filmen, nehmen auf. Ein Gefühl der Dazugehörigkeit, linke Demonstranten sind Freunde, ich sehe mich selber politisch eher links. Irgendwann setzen wir uns ab und begeben uns auf den Heldenplatz, bevor die Polizei die Räume zu macht, um links von rechts zu isolieren und so die öffentliche Ruhe zu sichern.

Dort treffen wir auf die Gruppe der Rechten. Ihre Körpersprache ist heftig: Die Beine breit, das Kreuz leicht durchgedrückt, den Kopf vorgeschoben. Einige von ihnen tragen Plakate, die Soldaten der Wehrmacht mit heroischem Blick ins Jenseits des Plakats zeigen, typischer "Landserstil", Holzkohlezeichnungen mit roten Parolen darunter. Auf den umstehenden Bänken sitzen einige alte Männer und Frauen, die sich mit ihren krummen Rücken und lahmen Beinen hierher geschleppt haben, damit sie glückselig Zeugen werden können dieser erneuten Heldentat junger Menschen, die sie selber einst waren. Endlich kümmert sich jemand um sie und schützt sie vor der Ungerechtigkeit der Welt. Einige Alte fuchteln wild mit Fotos herum und wiederholen beständig, dass diese nichts beweisen. Andere reden ohne Unterlass und weigern sich mit großem Erfolg, wieder anderen zuzuhören. Ich spüre eine entschlossene Allianz zwischen den Alten und den Jungen. Eine gewisse Mulmigkeit breitet sich in meinem Körper aus. Ich bin eine linke Laborratte, denke ich, und bin erinnert an das Gefühl vom Vorabend, als mich eine der Prostituierten angesprochen hat. Etwas wie: Nichts wie weg hier! Oder: Hinfallen und nie wieder aufstehen. In den Gesprächen mit den Rechten zeigt sich jedoch, dass die alle eigentlich ganz nette Kerle sind, zum Teil intelligent, zum Teil noch pubertär, aber irgendwie o.k. Wenn sie nur nicht so ordentlich wären. Ihre Argumente bleiben immer gleich, und ihre zurückhaltende Freundlichkeit wirkt aufgesetzt. Ich erwarte ständig eine Eskalation, die bei den Rechten auf dem Heldenplatz jedoch ausbleibt.

Einige hundert Meter weiter dagegen, auf der anderen Seite des Zaunes, der den Heldenplatz vom Dr. Karl Renner-Ring trennt, haben sich die Gegendemonstranten eingefunden und machen Krawall. Eine überforderte Polizei ballert wie dämlich mit dem Wasserwerfer auf die Linken und baut eine Schutzphalanx um die einige hundert Meter entfernten Rechten auf. Es fliegen Gegenstände über den Zaun, die Skins sind sichtlich froh über ihren Polizeischutz und später, als alles eigentlich schon vorbei ist, stößt die Polizei plötzlich in die Reihen der Linken vor und knüppelt im Rennen nach allen Seiten.

Körperkontakte Nummern drei bis x.

Am Ende habe ich den typischen Nach-Demo-Kater. Gleichzeitig ist da ein Gefühl, dass sich nach einer Woche im Innenlabor draußen endlich etwas bewegt hat. Mich beschäftigt die Frage nach dem Einsatz des Körpers in der Politik. Die Subtilität der Haiderschen Körpersprachen (er beherrscht, wie ich mir habe sagen lassen, wie ein Chamäleon immer die Sprache seiner Umgebung; ein wahrer Polyglotte) ist wohl nur vor laufender oder knipsender Kamera nötig und möglich. Auf der Straße herrschen andere Regeln: Die Zeichen sind zwecks leichterer Verständlichkeit einfacher und dadurch rauer, direkter. Die Kurse gehen fast immer auf Konfrontation (auch bei den Rechten: sie sind nach ihrer friedlichen Kundgebung noch skandierend und rechte Arme hebend durch die Kärntner Straße marschiert). Die Menschen begeben sich in eine Masse mit anderen Körpern und lösen sich, aus der Ferne betrachtet, in ihrer Individualität auf. Erst wenn man sich selber in die Masse begibt, werden die Individuen wieder erkennbar. Die Polizei begibt sich meistens in die Masse, indem sie oben erwähnten gewaltsamen Körperkontakt sucht. Durch diesen werden die aus der Masse isolierten Individuen auch wieder dingfest (hier ergibt sich eine interessante, hier aber nicht weiter zu betrachtende Assoziation zur Zuhandenheit).

Auf der Straße gibt es immer zwei Möglichkeiten: A) Ich spiele Theater. B) Ich entziehe mich und gehe nach Hause. Der Unterschied zwischen A) und B) ist mir nicht immer vollständig klar. Und wenn Hannah Arendt Recht hat, gibt es noch eine dritte Möglichkeit: Handeln. Überschneidungen zwischen A), B) und C) sind wahrscheinlich normal.


INPUT OUTPUT(PUT)

Zurück im Inneren des Labors geht es in der zweiten Woche um die möglichen Präsentationsformen der Forschungsergebnisse. Er ergibt sich ein Problem: Abgesehen von der Demonstration, die wir besucht haben, gibt es kaum ein Forschungsereignis, das in seiner Materialität so weit getrieben worden wäre, als dass sich nun etwas daraus formen ließe. In der ersten Woche gab es zwar Ansätze, die Zuhandenheit eines anderen Körpers auszuloten, oder auch den Versuch, die Unmöglichkeit aufzuheben, den eigenen Rücken ohne Spiegel zu betrachten. Doch blieb dies alles zaghaft und wurde abgebrochen, bevor die Elemente des Experiments miteinander hätten reagieren können (siehe auch DRAUSSEN WIRD ÜBERDACHT).

Einzig die Verlagerung des Labors auf die Straße hat uns alle so nachhaltig bewegt, dass fast alle Überlegungen zur Präsentation um dieses Erlebnis kreisen. Doch ist zu den öffentlichen Terminen des Labors keine weitere Demonstration angekündigt. Außerdem sind wir eine zu kleine Gruppe, als dass wir eine Demonstration nachstellen könnten.

Michaela und ich berufen uns auf unsere Haupttätigkeit in der Vorwoche: Sprechen. Die Gruppe ringt um Klarheit und Konsequenz in der Findung der Form. Am Ende steht der Entschluss, nichts weiter zu tun, als den Laborraum zu öffnen und die Besucher in Einzelgespräche oder Gespräche in kleinen Gruppen zu verwickeln. Auf dem Weg zum Labor passieren sie einen Fernseher, auf dem Videoaufnahmen der Demonstration zu sehen sind, im Labor spielt eine MD mit Interviewmitschnitten leise im Hintergrund. Wir warten auf die ersten Besucher, die bei Eintritt von uns abgefangen werden. Jede/r von uns beginnt Gespräche, die in ihrer relativen Abgeschirmtheit von den anderen Gesprächen einen privaten Charakter erhalten. Zugleich sind gewisse Erwartungshaltungen der Zuschauer an einen bestimmten Präsentationsmodus so aktiv wie unsere trotz allen Bemühungen nicht zu vermeidenden Aufregung bezüglich einer nun in unser Labor eintretenden Öffentlichkeit. Dies ist teilweise durch die Anwesenheit von Videokameras bedingt, die die Situation dokumentieren. Nachdem die Besucher Vertrauen gefasst haben, ergeben sich zum Teil sehr interessante Gespräche über unterschiedliche Themen (siehe dazu PERSÖNLICHES BEGRIFFSLEXIKON).

Zum zweiten öffentliche Termin wendet sich Nicole konspirativ an mich und schlägt vor, zusammen mit einer Gruppe von Besuchern zum Heldenplatz zu gehen, um dort anhand von möglichen Spuren über die Erfahrungen während der Demonstration zu sprechen. Wir versuchen am Außeneingang des Tanzquartiers Wien Besucher abzufangen, die sich jedoch alle gegen die Exkursion und für den Innenraum des Labors entscheiden. Trotzdem machen wir uns zusammen mit einem Kameramann auf den Weg. Auf dem Heldenplatz sprechen wir Passanten an und befragen sie zu den Ereignissen der Demonstration, zu Körperlichkeit von Politik und zur politischen Situation in Österreich.

Die Spontaneität unserer Entscheidung, das Labor während des öffentlichen Termins nach außen zu tragen, Wien quasi zu überdachen und zu einem einzigen, großen Labor für Performance und postdramatisches Agieren 3.2 zu machen, bewirkt ein Gefühl der Befreiung. Die für die Jahreszeit ungewöhnlich frischen Temperaturen lüften meinen Kopf, die erneute Bewegung des Spazierens wärmt meinen Körper auf. Die Gespräche unter freiem Himmel mit Leuten, die von den öffentlichen Terminen des Labors noch nicht einmal wussten, durch unsere Ansprache aber mitten drin stecken, entzünden eine gewisse Lust am Handeln.

Eine Art "Tätigkeit (...), die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt": das, was sich kurz vor oder nach dem Kontakt der Oberflächen abspielt: ein Text ohne Text, ein Körper ohne Körper, ein Kontext durch Kontakt.


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