Interview Sabine Sonnenschein
Michaela Pöschl, 10.5. 2002, DV, 60 Min., (c) Michaela Pöschl 2002, aus der Serie "körper denken sprache" Transkription |
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Sabine Sonnenschein: Das ist lustig, dass man bei DV-Kameras den LCD-Screen umdrehen kann. Michaela Pöschl: Ja, bei fast allen ... SS: Mal schau'n, ob ich gut im Bild bin. MP: Man sieht das Bild aber nicht spiegelgleich, manche Leute irritiert das: Im Bild bin ich links und du bist rechts. SS: Stimmt. MP: Ich könnte die Kamera aber auch auf Spiegelfunktion schalten. Worüber reden wir? Über ... SS: Das musst du vorschlagen. MP: ... Sprache, Körper und Denken, ein ganz schön großes Gebiet. Sprache, Körper, Denken - wie geht das bei dir zusammen? Oder: Mit welchen der 3 Begriffe kannst du am besten? SS: Mit Körper und Denken. Körper und Denken kann ich besser zueinander in Beziehung setzen. Es geht um ein Sich-Unterstützen und ein Sich-Hemmen. Mich interessiert eher das Unterstützen. Ob Denken nur mit der Sprache funktioniert, ist eine andere Frage. Wenn ich eine Vorstellung habe, muss das nicht unbedingt eine sprachliche Vorstellung sein, und ich würde es trotzdem als Denken bezeichnen. MP: Was ist mit dem Körper? Körper denkst du nicht in terms of Sprache? SS: Ich weiss nicht, ob man mit dem Körper wirklich denken kann. Ich kann im Körper Erinnerungen speichern, ich kann über körperliche Wahrnehmungen und Zustände reflektieren, ich kann vom gedachten in einen körperlichen Zustand kommen ... Das Denken beeinflusst meinen körperlichen Zustand, hier besteht eine Wechselwirkung. Aber wie und in welcher Sprache ich mit dem Körper wirklich denken kann, weiss ich nicht. MP: Sprache und Denken, ist das das gleiche für dich? Wenn ich an Körper denke, denke ich an Sprache. Für mich ist Sprache alles, mit dem ich mich mitteile. SS: Ich bin mir nicht sicher. Wenn du eine bestimmte Vorstellung denkst, eine sehr stark bildliche Vorstellung, eine Farbe ... würde ich schon sagen, dass du denkst. Aber das passiert nicht in der Sprache. MP: Wenn ich ein Bild denke, eine Farbe, oder mich blitzartig an etwas erinnere, wenn Denken keine Aneinanderreihung von Buchstaben ist, sind das vielleicht eher Emotionen. Das ist ungeordnet, sehr subjektiv, hat wohl mehr mit meinen Emotionen zu tun als mit "der Realität", die es ja ohnehin nicht gibt. SS: Ich habe jetzt eher an die Situation gedacht, wenn in mir für ein Kunstprojekt oder eine Performance gewisse Bilder entstehen, die ich dazu hab:, Bilder, Abläufe und Bewegungen im Raum. Das hat mit Sprache nichts zu tun. Das sind Bilder, in denen ich mir etwas vorstelle. Aber es ist nicht emotional. MP: Das sind Formen. SS: Ja. MP: Das kenne ich auch, eine Performance, ein Video zu machen, das nur von einem Bild ausgeht. Ich will etwas kommunizieren und diese Kommunikation läuft über das Bild. Wie bei meinem Video "Der Schlaf der Vernunft": Da tut sich nichts - oder es tut sich schon etwas - und es ist für mich sehr wohl Sprache. Mir fällt es oft schwer zu formulieren, was dieses zehn-Minuten-Bild sagt, aber es ist klar für mich, dass ich damit kommuniziert habe. Wenn du davon sprichst, dass in deinem Kopf Bilder entstehen, und du dir Abläufe überlegst, geht es offensichtlich darum, sich zu überlegen, was man mitteilen will und wie. Es geht um Sprache. SS: Sicher, es ist Kommunikation. Aber ich kann das nicht 1:1 in verbale Sprache umlegen. Man kann über die Dinge dahinter sprechen, aber das, was es ist, kann man nicht in Sprache übersetzen, das kann nicht gesprochen werden. MP: Wenn ich gefragt werde, was dieses Video bedeutet, geht es mir oft so, dass ich sagen muss, ich kann das nicht sagen. Gleichzeitig reproduziere ich damit das langweilige Bild des genialen Künstlers, der Kunst aus seinem Innersten heraus schafft, die nicht zu erklären, dafür genial ist. Oft fällt es mir aber wirklich nicht leicht ... SS: Darum geht es nicht, glaube ich. Es geht darum, das, was es ist, stehen zu lassen, und ein bisschen über die Hintergründe zu erzählen. Daraus ergibt sich dann etwas. Aber zu sagen: Hier, das ist, was es ist, und ich will nichts sagen! finde ich schwierig. Ich glaube, dass es möglich ist, das, was dahinter steht, in Worte zu fassen. Was dann immer noch nicht alles erklärt - und das macht nichts! Also würdest du meinen, dass es eine Körpersprache gibt? MP: Ja. Wenn wir zwei jetzt im Bild sitzen, finde ich das deswegen interessant und auch im Zusammenhang des Labors spannender als ein Audiointerview, weil wir etwas tun, während wir sprechen, und das spricht auch. Du hast am Anfang gesagt, dir fällt es leichter, Körper und Denken aufeinander zu beziehen. Mir fällt es leichter, Sprache und Körper zu koppeln, weil ich den Körper wirklich als Sprache empfinde. Gewollt oder ungewollt teile ich mich mit: wie ich schaue, was ich für Ringe unter den Augen habe. Eine Brücke zwischen Denken und Körper zu schlagen fällt mir schwerer. Da ist man gleich wieder dort, wo wir zuerst waren, bei: Denken ist nicht gesprochene Sprache. Eigentlich ist das beim Körper auch der Fall. SS: Ja, Denken muss nicht gesprochene Sprache sein. MP: Genausowenig wie Körper. SS: Genausowenig wie Körpersprache. Na ja. Wenn ich spreche ist davon auszugehen, dass ich wirklich etwas kommunizieren möchte. Ich kann natürlich in der Sprache denken, ohne etwas zu kommunizieren. Wenn ich denke, indem ich ein Bild produziere, kommuniziere ich das zunächst auch nicht, weil ich mir erst eine Vorstellung davon mache. Und ich kann mit dem Körper sprechen. Ich kann das alles bewusst einsetzen, aber ein Grossteil passiert unbewusst, kann gelesen werden oder nicht, je nachdem, wie aufmerksam man hinschaut. Körper ist diese Bandbreite, wo nie ganz klar ist, was sie bedeutet und wo sie herkommt. Auch beim Tanz ist das so. Die Bandbreite dessen, wie man Tanz interpretieren kann, ist dermassen gross, dass es für mich eine grosse Frage ist, ob Tanz Sprache ist oder nicht. MP: Eine Sprache oder was sonst? SS: Ja, eben. MP: Auch wenn sie durch antrainiert ist, auch diese Form von Bewegung ist eine Sprache, oder? SS: Ja, aber die Bandbreite ihrer Bedeutung ist wesentlich kleiner als die einer sogenannten "normalen" Bewegung. Da bin ich wieder bei diesem Mittel-ohne-Zweck-Ding. MP: Vielleicht ist das so, weil wir uns selber so konstruieren, dass wir gesprochene Sprache scheinbar leicht definieren können und Bewegungen nicht. Aber man kann an meinen Bewegungen sehen, wie es mir geht. Beim Tanz ist das natürlich anders. Bei der Situation auf der Strasse hat es vielleicht mit einem Geschult-Sein zu tun, welche Dinge ich als Betrachterin sehe und wie ich sie interpretiere, obwohl Geschult-Sein ist das falsche Wort, es hat mit Aufmerksamkeit zu tun. Im Tanzstudio ist die Situation anders: Du machst denselben Tanz öfters, lernst Bewegungen ein. Ich als Betrachterin hingegen erwarte mir bestimmte Bewegungen. Was aber heissen die dann? SS: Es geht um die Seite der Rezipientin. Ich denke, ich kann mich mit dem Körper nicht so präzise ausdrücken wie in der Sprache. Beim Indischen Tanz gibt es diese traditionellen Formen, wo jede Handgeste etwas ganz Spezifisches bedeutet, da werden mit den Händen Geschichten erzählt. Aber das sind auch immer dieselben traditionellen Erzählungen. Im westlichen Tanz gibt es eine derartige Zeichensprache nicht. MP: Bei diesen Handhaltungen kommt wohl noch dazu, dass das Mudras sind und einen bestimmten Energiefluss im Körper unterstützen. SS: Ja, möglicherweise. Auch die Taubstummensprache legt Handhaltungen genau fest. Damit kannst du auch kommunizieren - und du kannst damit nichts anfangen, wenn du nicht gelernt hast, was die einzelnen Handhaltungen bedeuten. Aber das hebt sich von der alltäglichen Geste völlig ab, was der Tanz ... das ist die Frage ... auch tut ... MP: Hebt sich Tanz von alltäglichen Gesten ab? SS: Ja, zum Teil. MP: Da ist dann zu unterscheiden, ob ich nur für mich tanze oder ob ich ein Solo oder ein Duo vor Leuten mache, oder Contact Improvisation. Tanz, das sind keine alltäglichen Gesten, das ist nicht "authentisch", wie die Bewegungen bei Contact so gerne interpretiert werden. Und eigentlich sind auch die Tanzbewegungen sogenannter "Laien" eingelernt und stereotyp. Wir sind was wir sehen und lernen. SS: Ja. Bei Contact Improvisation werden für Performances gewisse Formen verwendet. In den Anfängen wurde Contact als Performanceform verwendet, mittlerweile ist das kaum noch so. Es ist langweilig, immer dieselben Bewegungen zu sehen. Natürlich ist es etwas anderes, wenn es im Rahmen einer Kunstform darum geht, dass jemand zusieht. Es geht um den Bezug und die Auseinandersetzung zwischen BetrachterIn und TänzerIn. Wenn ich für mich alleine tanze, bleibt das bei mir. Eine wichtige Frage für mich ist: Kann es passieren - wenn ich geschult bin im Tanz - dass die Befriedigung, die durch das Tanzen entsteht, meine persönliche Befriedigung dermassen im Vordergrund steht, dass das, was ich in dieser Kunstform kommunizieren will, in den Hintergrund tritt? Diese Frage möchte ich in den Raum stellen. MP: Bewusst initiierte Kommunikation heisst immer, sich auf eine Bühne stellen. Und ist es nicht immer so, dass - wenn ich Kunst als Kommunikationsform sehe - es mich befriedigt, wenn ich mich so äussere, dass ich mir dabei gefalle? SS: Aber wenn du als Person nicht drinnen bist: einen Text schreibst oder ein Bild, ein Video machst, bekommst du im Nachhinein vielleicht eine Rückmeldung. Obwohl, bei einer Performance ist das auch so: Du hast das Performanceerlebnis, wo du sehr viel Aufmerksamkeit auf dich ziehst. Das ist eine besondere Sache allein dadurch, dass du von Leuten angeschaut wirst und deren Konzentration auf dich ziehst - eine ganz besondere Situation, die du sonst nicht hast. Das tut etwas. Aber die Rückmeldung, ob diese Kommunikation funktioniert hat und was daran interessant war, bekommst du erst danach, wenn du mit den Leuten sprichst. Weil ich immer öfter Sachen mache, wo ich nicht mehr tanze, stelle ich mir vermehrt die Fragen: Wo und warum nehme ich mir dieses Element, das mir natürlich auch Spass macht, weg? Muss ich es mit etwas anderem ausgleichen? Was bedeutet es, dass ich mir das selbst wegnehme? Bei anderen PerformerInnen erkenne ich, dass es primär um Selbstbefriedigung geht, und diesen Aspekt will ich mir ansehen. MP: Das mit dem Narzissmus stimmt. Ich hatte im Labor kurz den Gedanken, dass du in dem Moment, wo du auf einer Bühne tanzen oder performen willst, extrem narzisstisch bist, das ist nichts schlechtes. Du musst es sein, sonst würdest du das nicht machen. Trotzdem glaube ich, dass es sich nicht auf Narzissmus reduzieren lässt, wenn ich so darauf abfahre, dass mir Leute zuschauen. Es geht doch um klare Formen. Ein "Kunststück" hat immer eine klare Form. Geht es nicht auch darum, sich präzise auszudrücken? SS: Ja natürlich. Wenn das Stück so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hat. Es muss dann genauso ablaufen und du darfst keine Fehler machen - obwohl Fehler keineR bemerkt, nur du. Aber man hat sich das so vorgenommen, man weiss, dass es einen Sinn hat. Deshalb sind Fehler frustrierend. Es gibt immer Ton und Licht, es sind immer Leute involviert, die Fehler machen können ... Ich glaube, dass jenseits der Formfindung eine starke Befriedigung aus der physischen Aktivität resultiert. Du trainierst permanent darauf hin, dass du es tun kannst, dieser Punkt ist letztlich ganz wichtig. MP: Aber ich kann auch joggen gehen, ich kann auch Extremsport machen, ohne eine Kommunikations- oder Berufsform zu wählen, in der mein Körper im Zentrum steht. SS: Sicher. Aber in der Kombination von physischem Tun und Performancesituation passiert der Kick. Nach dem Labor habe ich mich gefragt: Wir haben nur geredet, was heisst das? Was bedeutet dieses "Nur"? MP: Vielleicht geht es um Kontrolle. Als Performerin kannst du die Bühnensituation kontrollieren. Ich kann mein Video total kontrollieren. Im Labor war die Form, für die wir uns entschieden haben, extrem klar: Wir im Raum und die Leute, und wir reden. Es war eine klare Entscheidung für eine Form, aber Kontrolle hatten wir nicht. Es ist anders, Leute in deinen Bann zu ziehen, wenn du den Körper ins Zentrum stellst, ohne zu sprechen. Bei Tanz oder Performance ist die Situation von vornherein so: Du hast die ganze Aufmerksamkeit, also glaubst du, du hast die ganze Kontrolle. In unserem Fall war das nicht so. SS: Ich weiss nicht, ob das wirklich mit Sprache zu tun hat. Wenn ich mich auf einzelne beziehe, was ich in meinen Solos tue, hat es sicher damit zu tun, dass ich eine Form schaffen will, wo die BesucherInnen mehr mitbestimmen können, was passiert, die Kontrolle nicht nur derjenige hat, der das ganze initiiert hat. Das ist anders als wenn die Leute reinkommen, und dann gibt es einen Vortrag: Obwohl das sprachlich wäre, wäre die Kontrolle bei dem, der spricht, es ist klar, wer den Rahmen setzt. Im anderen Fall ist auch klar, wer den Rahmen setzt, aber es ist offener. Bei Bewegung, und ich glaube auch beim Gespräch: Wenn ich mit einer Person spreche, wenn ich eine Bewegung nur zu einer Person hin mache, dann ist das insofern anders, weil ich mich unmittelbar auf diese Person einlasse, was ich bei einem grösseren Auditorium nicht machen kann. In einem grösseren Auditorium bekomme ich natürlich stimmungsmässig vom Gesamtpublikum eine Rückmeldung. Wenn ein Kind schreit, ist klar, dass mich das beeinflussen wird, oder es hustet jemand, das beeinflusst natürlich. Wenn das nicht so ist, ist es die Addierung der einzelnen Präsenzen, die bei mir als Tänzerin etwas bewirken. MP: Wenn sich alle auf dich konzentrieren bekommst du Energie. SS: Ja, durch die Aufmerksamkeit. MP: Wenn du vor Publikum einen Vortrag hältst: Sprache ist ziemlich zerfleddert und auch autoritär, das Thema wird nicht alle interessieren ... Hingegen vor einem Körper kann ich freier assoziieren. SS: Bekommst du als Redner nicht auch Energie von denen, die zusehen? MP: Wahrscheinlich. Aber wenn ich Vortrags- und Performancesituationen vergleiche, kenne ich nur ganz wenige Leute, die einen Raum mit Worten füllen können, Peter Sellars kann das. Mit Worten kann man nicht die gleiche Dichte erzeugen wie mit dem Körper, oder? SS: Wenn ich einem Vortragenden zuhöre, denke ich über den Inhalt nach. Ich schaue den Vortragenden an, aber nicht intensiv, weil mich das vom Inhalt ablenkt. Hier trenne ich den Inhalt sehr stark von der Person, die da sitzt oder steht. Bei Bewegung, bei Theater natürlich auch, trenne ich das nicht, sondern schaue die ganze Zeit auf die Person und auf den Körper, weil ununterbrochen Information über beides kommen kann. Obwohl die Stimme bei dem Vortrag ja auch etwas ausmacht, so stimmt das auch wieder nicht. MP: Es macht einen Unterschied, ob 30 Leute im Raum sitzen, die alle in ihrem Kopf sind, oder ... Obwohl, auch im dunklen Zuschauerraum kannst du dich wegassoziieren. Im Endeffekt bist du als Zuschauerin hier aber nur als Masse vorhanden, die nur das eine will: den Tanz sehen. SS: Natürlich gibt es die ganz traditionelle Situation mit dem dunklen Zuschauerraum und der beleuchteten Bühne, in der der Fokus ganz stark auf die Bühne gelenkt wird. MP: Wenn du so auftrittst, holst du dir sehr viel Energie vom passiv sitzenden und schauenden Publikum. SS: Ja, aber wieweit ist da das Publikum nicht auch wieder weg? Wenn alle in diesem schwarzen Loch vor dir sitzen, ist es egal, ob es 100 oder 500 Menschen sind. Du siehst niemanden. OK, der Applaus ist stärker, du merkst, da sind mehr Leute. In Wien, München und in Vorarlberg war ich in so einer alten Theatersituation: Da sieht man wenig. Aber man ist ungeheuer sicher, der Bühnenraum gibt dir eine ungeheure Sicherheit. Du bist wie in deiner Blase, und das schützt. MP: Du hast das Phantasma von Kontrolle. SS: Da oben hast du die volle Aufmerksamkeit und den vollen Schutz. Das ist sehr angenehm. In offenen Performancesituationen ist es interessanter und lebendiger, aber viel fragiler. Wenn du auf nur eine Seite spielst, kannst du dorthin eine Form projizieren. Wenn dein Agieren von allen Seiten einsichtig ist, wird die Situation für dich komplizierter. MP: Hier geht es wieder um diese klare Form, in der man sich als KünstlerIn mitteilen möchte. Wenn ich auf einer Bühne performe, habe ich selbst im Kopf das Bild, das ich in den Zuschauerraum werfe. Weil ich nur nach einer Richtung agiere, kann ich das Bild, erstens leicht kontrollieren, und mir zweitens gut vorstellen, wie mein Bild aussieht. In einer offenen Performancesituation habe ich das Bild nicht. Es ist nicht mein Bild. Hier sind zu viele Blickpunkte, die ich nicht kontrollieren kann. SS: Es wird komplizierter. MP: Wird da die Befriedigung schon weniger? Hier beginnt es, oder? SS: Du verrückst es in eine abstraktere Ebene, indem du sagst: Das ist künstlerisch viel interessanter, es ist viel spannender. Die Befriedigung wird verlagert. MP: Du hast zuerst das Wort Narzissmus verwendet, dich gefragt, ob man narzisstisch ist, wenn man performt, und warum man diese Befriedigung braucht. Ich glaube, es ist bei allen Menschen gleich: Du suchst dir die Form, die dir am meisten liegt. Auch Texteschreiben befriedigt, obwohl du da auf keiner realen Bühne stehst, das kann genauso narzisstisch sein. Du stellst dir einfach vor, jemand liest deinen Text und bewundert dich. An diesem Punkt kannst du dir aber noch die Frage stellen: Warum? Warum hast du dir den Körper ausgesucht? Warum ist das für dich die Form, in der du dich mitteilen möchtest? Die narzisstische Befriedigung hat jeder. Die Frage ist, warum ist es in deinem Fall der Körper? SS: Es ist günstig, dir andere Felder aufzumachen, weil du weisst, dass du gewisse Sachen nicht lange so gut machen kannst. Du hast körperliche Grenzen, kommst drauf, dass du Probleme bekommst mit Knien, und überlegst dir, ob du anders weiterarbeiten kannst. Das ist der Punkt, der gerade beim Körper schwierig ist, der erfordert, dass man andere Wege findet. Wenn es um die spezielle Leistung geht, kannst du die bis 40 gut machen, dann nicht mehr. Das ist so - oder du suchst dir andere Formen. MP: Ich gehe davon aus, dass eine Tänzerin eine bestimmte Befriedigung daran hat, ihren Körper zu kontrollieren. Jemand anderer kontrolliert gerne Worte, Texte. Hier interessiert mich, noch bevor ich dahin komme, dass man sich etwas anderes suchen muss, warum hast du dich entschieden, deinen Körper zu verwenden und ihn auf eine Bühne zu platzieren? SS: Das weiss ich nicht. MP: Denk nach. SS: Das weiss ich eigentlich wirklich nicht so genau. Wahrscheinlich hat mir das am meisten Spass gemacht. Es ist nicht aus einer speziellen Begabung in diesem Gebiet entstanden. MP: Es geht nicht um Begabung. Man kann nicht anders, oder? SS: Ja. Ich kann sagen, dass es mir bei meinem Studium gar nicht gut gegangen ist. Durch das Tanzen ging es mir besser. Und bei meiner ersten Performance habe ich gemerkt, dass mir die Situation extremen Spass macht. Es hat sehr gut funktioniert. Mehr kann ich nicht dazu sagen. MP: Martin hat erzählt, dass sein Eltern sich haben scheiden lassen, als er 17 war. Ihm ging es auch nicht gut. Und auch er hat sich für das Tanzen entschieden. SS: Ich glaube, das ist bei TänzerInnen fast immer so. Das andere ist die Biografie derer, die von klein auf Ballet machen und dabei bleiben. Da kommt das Tanzen nicht aus einer Reflexion heraus, sondern daraus, dass man es von klein auf gemacht hat und deshalb kann. Es gibt Leute, die sich die anderen Felder erarbeiten, was aber oft passiert, ist, dass diese TänzerInnen immer "drinnen" sein müssen - unter einem Choreografen, in einer Kompanie - , dass sie immer diese Form erfüllen müssen, aber nie zu dem Punkt kommen, wo sie selbst gestalten. Entweder sie sind dann ganz tolle TänzerInnen, oder sie gelangen an den Punkt, wo es nicht so gut für sie läuft und hören auf zu tanzen. Das finde ich das Interessante, dass sie oft ganz aufhören, keinen Weg finden, ihr Können anders einzusetzen und gar nicht mehr wollen. MP: Ich finde diese Unterscheidung zwischen der Tänzerin die tanzt, weil sie eine, sagen wir mal eine "Störung" hat, und der, die tanzt, weil sie dazu von klein auf, sagen wir mal gezwungen wurde, interessant. Milli Bitterli hat zu mir gesagt, für sie war ihr Körper nie ein Thema. sie hat von klein auf Ballett gemacht, in der Staatsoper, hart trainiert. Mich hat interessiert, welchen Bezug sie zu ihrem Körper hat, und sie hat gesagt, dass der für sie nie Thema war. Für mich klang das eigentümlich - obwohl es sich hier wahrscheinlich nur um eine individuelle Formulierung handelt. SS: Das finde ich auch eigentümlich. In dieser Art von Tanzausbildung machst du nichts anderes, als dir permanent Körper anzuschauen und Körper und Körper und Körper. Vielleicht gibt es aber auch Inhalte, die nicht über den Körper verhandelt werden können ... aber du kannst nichts ausser tanzen. MP: Was ist die Alternative. Was machst du? SS: Ich möchte mir andere Medien, z.B. Text aufmachen, in denen ich mich auch artikulieren kann, weil für manche Sachverhalte der Körper nicht das geeignete Medium ist. MP: Kann man sagen, dass es die Leute gibt, denen etwas daran liegt, ein bestimmtes Handwerk zu erlernen und zu perfektionieren. Und es gibt ... Jetzt ist mein Satz weg. SS: Für mich ist die Situation interessanter, wenn man sich mitteilen will und dafür das geeignete Medium sucht. Und das kann nicht jedes sein. Das Medium ist nicht beliebig, es ist nicht egal. MP: Das heisst, bei dir und bei mir geht es vielleicht eher - auf ganz verschiedene Weise - darum, eine Sprache zu finden, in der man anderen nahe bringt, was man in gesprochener Sprache nicht mitteilen kann. Im Gegensatz dazu gibt es jene, die gerne eine Form beherrschen. SS: Und diese Form schliesst gewisse Inhalte aus, weil sie in ihr nicht kommuniziert werden können. Ich muss, wenn ich beim Körper bleibe, mich auf das beschränken, was möglich ist. Oder ich setze den Körper in ein Umfeld, wo sich durch den Kontext alle anderen Inhalte vermitteln lassen. In diesem Fall wähle ich aber bereits andere Formen - und so funktioniert das auch, so kann man Inhalte in der Kombination verschiedener Medien verhandeln. MP: Was hat sich bei dir verändert, nachdem du dich für den Tanz entschieden hast? Was wurde anders? Bei Martin war es ursprünglich wohl das Anliegen, sich mit dem Körper auszudrücken, jetzt sagt er, er ist an dem Punkt, wo er merkt, dass er bestimmte Sachen in der Sprache auf- bzw. ausarbeiten muss. Was hat sich an deiner Position verändert? SS: Ich würde sagen, dass ich in der intensiven Auseinandersetzung mit dem Körper sicher etwas gefunden habe, mit dem ich mich mitteilen kann, etwas, wo die Kommunikation - im künstlerischen Sinn, beim Produzieren von Performances -funktioniert. Jetzt bin ich an dem Punkt, wo ich auch andere Inhalte kommunizieren will und das Gefühl habe, in dem, was ich mit dem Körper machen kann, eingeschränkt zu sein. Das Wiederholen von Material, von Bewegungen, die möglich sind, langweilt mich. Mich langweilen viele Performances. Ich habe das zu oft gesehen, ich sehe, was daran interessant ist, und ich sehe die Grenzen. Mich interessieren jetzt Dinge, die kritischer sind, klarer sind, stärker auf einen Punkt kommen. Kritik üben kann ich mit Tanz schwer. MP: Ich kann nur den Tanz selber kritisieren, so wie das Xavier le Roy tut? SS: Ja. Das bleibt aber bei dieser "Kunstauseinandersetzung". Auch dich mit Tanzgeschichte auseinander zusetzen und sie in den Tanz einzubringen, ist spannend, wird aber wieder nur von denen verstanden, die von Tanzgeschichte Ahnung haben. Mich interessiert die Problematik der "Glocke", die du in einer ganz traditionellen Bühnensituation hast: Sie bietet dir Schutz - und du machst deine Welt auf und spürst, wie die Konzentration auf dich geht. Aber letztlich bist du ganz alleine. Du hast den Schutz und die Konzentration, aber im Alltag nutzt dir das nichts. Schauspieler bringen in der Bühnensituation alles und sind privat oft völlig fertige Existenzen. Mich interessieren Formen, die mit Leuten in Kontakt treten und in das gesellschaftliche Umfeld direkter hineingehen als diese reine Kunstform "Tanz". Bei Tanz bleibe ich als Künstlerin unter einer Glocke. Ich komme jetzt wieder auf die Sprache, weil da Kommunikation doch leichter ist. MP: Und das kann auch verunsichern. Wenn mehr als eine Person spricht, wird es unklarer für dein Künstlerin-Ego. Welche Form suche ich mir, wenn ich mein Statement im Rahmen von Kunst machen mag? Das ist hier die Frage. Kunst ist immer über Form, oder? Du könntest ja auch Soziologin sein und Neonazis interviewen, wie wir im Labor. Du bekommst dieselben Antworten, ob du nun Künstlerin bist oder Soziologin! Die zentrale Frage ist nicht, ob du tanzen willst oder nicht. Die Frage ist, ob dein Bestreben um eine bestimmte Form bleibt, ob du weiterhin Kunst machen möchtest. SS: Was mache ich mit dem Audio- und Videomaterial? Das war die erste Frage, die ich an die Interviews gestellt habe. MP: Es geht um |
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