KÖRPER KONTAKT TEXT LABORPUFF IN WIEN - von Martin
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"Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt." (Hannah Arendt)
In einem der zwei Studios treffe ich die anderen Teilnehmer dieses Labors: Sabine Sonnenschein (Initiatorin des Projekts), Nicole Haitzinger (Tanztheoretikerin), Stefan Nowotny (Philosoph), Michaela Pöschl (Videokünstlerin). Nach dem ersten Kennen Lernen sitzt man auf Stühlen im Kreis zum Teil mit Notizblöcken auf den Schößen und mit Stiften in den Händen. Michaela hat ihre Füße auf einen Stuhl gelegt, den sie vor sich gestellt hat. In einer Ecke stehen ein Fernseher, ein Videogerät, einige Mikrophone. Wir reden von uns selbst, und wir reden von unseren Erwartungen an dieses zweiwöchige Labor. Auch an den folgenden Tagen reden wir. Über Philosophie. Weniger über uns selbst. Die Begriffe schwirren im Raum und im Kopf. Der Heimweg vom Labor führt wiederum am Puff vorbei. Am Abend hat er auf. Die Prostituierten sprechen mich an und versuchen, Geschäfte mit mir zu machen. Eine stellt sich mir in den Weg und drückt ihre Brüste an mich. Körperkontakt Nummer eins. Sie zählt die Möglichkeiten ihrer Zuhandenheit auf: Nackt, mit Berühren, ohne Berühren, mit Getränk, ohne, französisch....quel bordell. Merci, madame. Dankend lehe ich ab und gehe zu meiner Bleibe um die Ecke.
Aufwärmen: Bewegen: Demonstrieren: Form: Handeln: Körper: Kontakt: Labor: Migration: Öffentlich: Privat: (Puff: Raum: Sprechen: Spur: Tanzen: Versprachlichen: Zeit:
Im Labor reden wir unter anderem über den Bezug des Werkzeugs zum Menschen. Stefan spricht von der Heideggerschen Betrachtung dieser Verbindung. Er erwähnt den Begriff der Zuhandenheit, der beschreibt, dass der Bezug zwischen Werkzeug und Mensch ein anderer ist als der unter Menschen oder der zwischen Menschen und Dingen, die keine Werkzeuge sind. Es ist schwierig zu bestimmen, welches Ding eindeutig kein Werkzeug ist. Am nächsten Tag schlage ich eine Übung vor: ein Person probiert, Werkzeug zu sein, indem sie der anderen Person zuhanden ist, während diese andere Person versucht, sich das "Werkzeug" zuhanden zu machen. Zunächst probieren Michaela und ich diesen Vorschlag. Körperkontakt Nummer zwei. Das Problem dieser Übung ist, dass die Zuhandenheit eine nur gespielte ist. Ein Mensch kann einem anderen nicht einfach nur zuhanden sein. Dafür fehlt ihm die Leblosigkeit. Es gibt zu viele Kontakte auf zu vielen Ebenen (emotional, gedanklich, fleischlich etc), die eine Zuhandenheit durchkreuzen. Das Spiel wird zu einem mit sozialen Aspekten. Assoziationen von Beziehungen zwischen Herr und Sklave kommen auf. Wir sprechen über unsere Gefühle von Beklemmtheit, Macht und Ohmacht. Nach einigen weiteren Versuchen brechen wir ab. Danach gehe ich zur U-Bahnstation,
steige am Westbahnhof um, steige an der Volksoper aus und umgehe so den
Puff und damit Körperkontakt Nummer drei. Ich denke an Sigmund Freud,
der gesagt hat, dass Wien überdacht ein einziger, großer Kontakthof
wäre. Ich steige die drei Stockwerke zu meiner Wohnung. Als ich die
Tür aufschließe, frage ich mich, ob eine Prostituierte ihrem
Freier zuhanden ist. Was für eine Art von Kontakt findet zwischen
diesen beiden Parts statt ? Beinhaltet ein solches Geschäft ein Handeln
? Ich gehe ins Bett und träume von immensen Innenräumen, in
denen Theater gespielt wird, so etwas wie überdachte öffentliche
Räume.
"A central question of the laboratory revolved around the topography of the lab. Where is it, where is the space of the laboratory? The lab is more than a collection of research methods, because it connects these to a specific space. According to philosopher Isabelle Stengers, the laboratory is essentially a closed place. There is less unanimity concerning the materiality of this space. Biologist and philosopher Francisco Varela defends the concept of a subjective laboratory that results from a form of meditation, a closed space that can be transported anywhere: the portable lab. Bruno Latour doubts the transportability of the laboratory. Doesn't one always fail when trying to repeat an experiment in another place or in another time slot? Physical and cultural factors play a fundamental role even in the closed rooms. But they actually become visible only by the transfer." (Steven De Belder in "Science as a Metaphor for the Practice of Dance) Am Ende der ersten Woche gehen wir auf Vorschlag Sabines auf die Straße. Mit uns eine Videokamera und ein MD-Aufnahmegerät mit Mikrophon. Anlass sind zwei Demonstrationen: Die erste ist eine rechtsnationale und faschistische Reaktion auf die Eröffnung der zweiten Version der Ausstellung "Die Verbrechen der Wehrmacht" in Wien. Bezeichnenderweise hat die Polizei den zu erwartenden 150 Demonstranten den Heldenplatz als Ort ihrer Kundgebung zugewiesen. Dort, wo sich Österreich 1938 endlich und lautstark zu seiner großen Sympathie mit den Nationalsozialisten aus Deutschland bekennen durfte. Gleichzeitig ein leicht zu überschauendes und isolierbares Terrain. Die andere Demonstration ist eine linke und teilweise linksradikale Reaktion auf diese erste am Heldenplatz. Die Ausführungen Stefans zu den verschiedenen Strömungen, die auf dieser Gegendemonstration erscheinen werden, verstehe ich nur teilweise. Klar ist mir nur, dass Demonstrieren, egal ob links oder rechts, immer mit Kundgeben und Marschieren zu tun hat. Die Helden der Wehrmacht und ihre Verbrechen, die Glatzen auf dem Heldenplatz in Verteidigung einer Ehre, und die Linken auf dem Marsch durch die Straßen in Richtung Heldenplatz. Wir gehen zunächst mit den Linken, stellen Fragen, filmen, nehmen auf. Ein Gefühl der Dazugehörigkeit, linke Demonstranten sind Freunde, ich sehe mich selber politisch eher links. Irgendwann setzen wir uns ab und begeben uns auf den Heldenplatz, bevor die Polizei die Räume zu macht, um links von rechts zu isolieren und so die öffentliche Ruhe zu sichern. Dort treffen wir auf die Gruppe der Rechten. Ihre Körpersprache ist heftig: Die Beine breit, das Kreuz leicht durchgedrückt, den Kopf vorgeschoben. Einige von ihnen tragen Plakate, die Soldaten der Wehrmacht mit heroischem Blick ins Jenseits des Plakats zeigen, typischer "Landserstil", Holzkohlezeichnungen mit roten Parolen darunter. Auf den umstehenden Bänken sitzen einige alte Männer und Frauen, die sich mit ihren krummen Rücken und lahmen Beinen hierher geschleppt haben, damit sie glückselig Zeugen werden können dieser erneuten Heldentat junger Menschen, die sie selber einst waren. Endlich kümmert sich jemand um sie und schützt sie vor der Ungerechtigkeit der Welt. Einige Alte fuchteln wild mit Fotos herum und wiederholen beständig, dass diese nichts beweisen. Andere reden ohne Unterlass und weigern sich mit großem Erfolg, wieder anderen zuzuhören. Ich spüre eine entschlossene Allianz zwischen den Alten und den Jungen. Eine gewisse Mulmigkeit breitet sich in meinem Körper aus. Ich bin eine linke Laborratte, denke ich, und bin erinnert an das Gefühl vom Vorabend, als mich eine der Prostituierten angesprochen hat. Etwas wie: Nichts wie weg hier! Oder: Hinfallen und nie wieder aufstehen. In den Gesprächen mit den Rechten zeigt sich jedoch, dass die alle eigentlich ganz nette Kerle sind, zum Teil intelligent, zum Teil noch pubertär, aber irgendwie o.k. Wenn sie nur nicht so ordentlich wären. Ihre Argumente bleiben immer gleich, und ihre zurückhaltende Freundlichkeit wirkt aufgesetzt. Ich erwarte ständig eine Eskalation, die bei den Rechten auf dem Heldenplatz jedoch ausbleibt. Einige hundert Meter weiter dagegen, auf der anderen Seite des Zaunes, der den Heldenplatz vom Dr. Karl Renner-Ring trennt, haben sich die Gegendemonstranten eingefunden und machen Krawall. Eine überforderte Polizei ballert wie dämlich mit dem Wasserwerfer auf die Linken und baut eine Schutzphalanx um die einige hundert Meter entfernten Rechten auf. Es fliegen Gegenstände über den Zaun, die Skins sind sichtlich froh über ihren Polizeischutz und später, als alles eigentlich schon vorbei ist, stößt die Polizei plötzlich in die Reihen der Linken vor und knüppelt im Rennen nach allen Seiten. Körperkontakte Nummern drei bis x. Am Ende habe ich den typischen Nach-Demo-Kater. Gleichzeitig ist da ein Gefühl, dass sich nach einer Woche im Innenlabor draußen endlich etwas bewegt hat. Mich beschäftigt die Frage nach dem Einsatz des Körpers in der Politik. Die Subtilität der Haiderschen Körpersprachen (er beherrscht, wie ich mir habe sagen lassen, wie ein Chamäleon immer die Sprache seiner Umgebung; ein wahrer Polyglotte) ist wohl nur vor laufender oder knipsender Kamera nötig und möglich. Auf der Straße herrschen andere Regeln: Die Zeichen sind zwecks leichterer Verständlichkeit einfacher und dadurch rauer, direkter. Die Kurse gehen fast immer auf Konfrontation (auch bei den Rechten: sie sind nach ihrer friedlichen Kundgebung noch skandierend und rechte Arme hebend durch die Kärntner Straße marschiert). Die Menschen begeben sich in eine Masse mit anderen Körpern und lösen sich, aus der Ferne betrachtet, in ihrer Individualität auf. Erst wenn man sich selber in die Masse begibt, werden die Individuen wieder erkennbar. Die Polizei begibt sich meistens in die Masse, indem sie oben erwähnten gewaltsamen Körperkontakt sucht. Durch diesen werden die aus der Masse isolierten Individuen auch wieder dingfest (hier ergibt sich eine interessante, hier aber nicht weiter zu betrachtende Assoziation zur Zuhandenheit). Auf der Straße gibt es immer zwei Möglichkeiten: A) Ich spiele Theater. B) Ich entziehe mich und gehe nach Hause. Der Unterschied zwischen A) und B) ist mir nicht immer vollständig klar. Und wenn Hannah Arendt Recht hat, gibt es noch eine dritte Möglichkeit: Handeln. Überschneidungen zwischen A), B) und C) sind wahrscheinlich normal.
Zurück im Inneren des Labors geht es in der zweiten Woche um die möglichen Präsentationsformen der Forschungsergebnisse. Er ergibt sich ein Problem: Abgesehen von der Demonstration, die wir besucht haben, gibt es kaum ein Forschungsereignis, das in seiner Materialität so weit getrieben worden wäre, als dass sich nun etwas daraus formen ließe. In der ersten Woche gab es zwar Ansätze, die Zuhandenheit eines anderen Körpers auszuloten, oder auch den Versuch, die Unmöglichkeit aufzuheben, den eigenen Rücken ohne Spiegel zu betrachten. Doch blieb dies alles zaghaft und wurde abgebrochen, bevor die Elemente des Experiments miteinander hätten reagieren können (siehe auch DRAUSSEN WIRD ÜBERDACHT). Einzig die Verlagerung des Labors auf die Straße hat uns alle so nachhaltig bewegt, dass fast alle Überlegungen zur Präsentation um dieses Erlebnis kreisen. Doch ist zu den öffentlichen Terminen des Labors keine weitere Demonstration angekündigt. Außerdem sind wir eine zu kleine Gruppe, als dass wir eine Demonstration nachstellen könnten. Michaela und ich berufen uns auf unsere Haupttätigkeit in der Vorwoche: Sprechen. Die Gruppe ringt um Klarheit und Konsequenz in der Findung der Form. Am Ende steht der Entschluss, nichts weiter zu tun, als den Laborraum zu öffnen und die Besucher in Einzelgespräche oder Gespräche in kleinen Gruppen zu verwickeln. Auf dem Weg zum Labor passieren sie einen Fernseher, auf dem Videoaufnahmen der Demonstration zu sehen sind, im Labor spielt eine MD mit Interviewmitschnitten leise im Hintergrund. Wir warten auf die ersten Besucher, die bei Eintritt von uns abgefangen werden. Jede/r von uns beginnt Gespräche, die in ihrer relativen Abgeschirmtheit von den anderen Gesprächen einen privaten Charakter erhalten. Zugleich sind gewisse Erwartungshaltungen der Zuschauer an einen bestimmten Präsentationsmodus so aktiv wie unsere trotz allen Bemühungen nicht zu vermeidenden Aufregung bezüglich einer nun in unser Labor eintretenden Öffentlichkeit. Dies ist teilweise durch die Anwesenheit von Videokameras bedingt, die die Situation dokumentieren. Nachdem die Besucher Vertrauen gefasst haben, ergeben sich zum Teil sehr interessante Gespräche über unterschiedliche Themen (siehe dazu PERSÖNLICHES BEGRIFFSLEXIKON). Zum zweiten öffentliche Termin wendet sich Nicole konspirativ an mich und schlägt vor, zusammen mit einer Gruppe von Besuchern zum Heldenplatz zu gehen, um dort anhand von möglichen Spuren über die Erfahrungen während der Demonstration zu sprechen. Wir versuchen am Außeneingang des Tanzquartiers Wien Besucher abzufangen, die sich jedoch alle gegen die Exkursion und für den Innenraum des Labors entscheiden. Trotzdem machen wir uns zusammen mit einem Kameramann auf den Weg. Auf dem Heldenplatz sprechen wir Passanten an und befragen sie zu den Ereignissen der Demonstration, zu Körperlichkeit von Politik und zur politischen Situation in Österreich. Die Spontaneität unserer Entscheidung, das Labor während des öffentlichen Termins nach außen zu tragen, Wien quasi zu überdachen und zu einem einzigen, großen Labor für Performance und postdramatisches Agieren 3.2 zu machen, bewirkt ein Gefühl der Befreiung. Die für die Jahreszeit ungewöhnlich frischen Temperaturen lüften meinen Kopf, die erneute Bewegung des Spazierens wärmt meinen Körper auf. Die Gespräche unter freiem Himmel mit Leuten, die von den öffentlichen Terminen des Labors noch nicht einmal wussten, durch unsere Ansprache aber mitten drin stecken, entzünden eine gewisse Lust am Handeln. Eine Art "Tätigkeit (...), die sich
ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen
Menschen abspielt": das, was sich kurz vor oder nach dem Kontakt
der Oberflächen abspielt: ein Text ohne Text, ein Körper ohne
Körper, ein Kontext durch Kontakt. |
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