"If we insist on the participatory spectator,
we have to renounce the performance."1
(Emil Hvratin)
1.
20.4.2002, 18 Uhr 30:
Ein Studio im Tanzquartier Wien, erfüllt von Gesprächen, zu zweit,
in kleinen Gruppen.
In wieweit sind diese Gespräche privat, in wieweit öffentlich?
Sind die Körper, die im Gespräch Gesten setzen, privat, sind sie
öffentlich?
Die Präsenz von Videokameras unterstreicht den öffentlichen Charakter
der Veranstaltung.
Der Sound von Gesprächen,
aufgenommen rund um die Demonstration von Neonazis gegen die Wehrmachtsaustellung
am 13.4.2002 am Heldenplatz, überlagert das Live-Geschehen.
Körper und ihre politischen Botschaften:
Platte Stereotype, die klare Zuordnungen mit sich bringen, sind offensichtlich;
hier waren es die statische, stille und zugleich bedrohliche Formation
von Skinheads rund um das Erzherzog Karl-Denkmal sowie das bunt bewegte,
laute Bild der linken GegendemonstrantInnen am Ring. Verschiebungen und
taktische Camouflage waren das Interessante: Rund um die Neonazis entstand
ein Zwischen, im dem heftig diskutiert wurde, die Zuordnung nach der körperlichen
Erscheinung nicht mehr so simpel war, es keine starren Fronten gab und
einzelne Subjektpositionen sichtbar wurden.
Wie verhält es sich mit
der taktischen Verwendung des Körpers im politischen Kontext: Die
Inszenierung der öffentlichen Erscheinung von PolitikerInnen arbeitet
mit dem Sexappeal von medialisierten Körpern, mit Bildern von Körpern.
Kann Tactical Frivolity oder Pink & Silver von GlobalisierungskritikerInnen
zur Überwindung von Polizeiabsperrungen verwendet werden oder ist
es primär hedonistisch Karnevaleskes an der Peripherie?
In der Bibliothek des TQW ist
Bildmaterial der im Live-Geschehen thematisierten Referenz zu sehen.
Hannah Arendt zieht eine klare Grenze zwischen der politischen Öffentlichkeit
und dem Privaten. Körperliche Bedürfnisse und Empfindungen bezeichnet
sie als äußerst privat.
Welchen Raum haben der Körper und das persönliche Empfinden
im Öffentlichen und im Politischen?
Sind es spezielle Körperzustände,
mittels derer politischer Widerstand gelebt wird?
Tendiert der Körper aufgrund der physikalischen Materialität
zu Widerstand in Form von Verweigerung?
Verweigerung kann hinter passivem Widerstand stehen; passiver Widerstand
ist aber zugleich auch eine der "aktivsten und wirksamsten Formen
des Handelns" (Hannah Arendt, Vita activa, S.253).
Können Krankheitssymptome wie die der Anorexia nervosa als Artikulation,
als Zeichen von Verweigerung betrachtet werden?
Die Hyperaktivität, die ständige Bewegung andererseits ist vielleicht
die andere Seite der Verweigerung.
Der Adrenalin-Kick im (romantischen) Demo-Abenteuer, im Street Fight verbunden
mit unmittelbarer Konfrontation, ist, in seiner Funktion der Erhöhung
von Aktivität, ein wichtiger, aber in keinster Weise ein für
politischen Widerstand explizit spezifischer Körperzustand.
20.4.2002, 18 Uhr 30:
In Erinnerung an die körperliche Erfahrung der Demo verwickeln LaborteilnehmerInnen
PassantInnen um das Erzherzog Karl-Denkmal am Heldenplatz in Gespräche
über Körper und Politik.
Im TQW und am Heldenplatz geht es in den Gesprächen um Körper
und Politik, um Privatheit und Öffentlichkeit und darum, was via
Körper artikuliert werden kann.
2.
Der Körper ist weder Subjekt noch Objekt, sondern Vorgabe meiner
selbst.
Ich bin Subjekt und Objekt zugleich. Der Körper sagt nicht Ich',
sondern performt Ich'.
Was bedeutet es, den Körper als Objekt zu sehen?
Die Geste des Tanzes ist reines Mittel, ein In-der-Sprache-Sein:
Wenn Körperteile manipuliert werden, werden sie wie Objekte durch
den Raum geschoben oder geworfen.
Der Rolling Point zwischen zwei Körpermassen in der Contact Improvisation
kann gesetzt werden, wenn die Bedeutung von Berührung zwischen subjektiv
empfindenden Leibern im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext gleichsam
ausgeblendet wird; die Contact Improvisation ist eine Technik, in der
es primär um Berührung in einem Spiel mit physischen sowie physikalischen
Phänomenen und Gesetzmäßigkeiten geht.
Wenn TänzerInnen Bewegungen von einzelnen Körperteilen
initiieren lassen, objektivieren sie diese.
In dieser Objektivierung werden die einzelnen Teile auch quasi demokratisch
gleichgestellt. Zwischen einer Bewegung, die vom Steißbein ausgeht,
einer, die vom Kopf initiert wird oder vom Brustbein, gibt es hier keinen
Unterschied. Sie sind gleichermaßen interessant, sehen aber freilich
unterschiedlich aus.
Ein "breath through your arms" steht in einer
Release Technique Klasse gleichwertig neben einem "release your anus".
Denn es geht hier um die Physis, quasi medizinisch bzw. naturwissenschaftlich
betrachtet, und nicht um die gesellschaftlichen Einschreibungen in die
Körperteile, die die Vorgabe für die Subjektpositionen bilden.2
3.1
Die Geste des Tanzes ist ein reines Mittel; die Geste des Tanzes ist eine
Geste des Körpers. Fungiert hier der Körper in Bewegung als
Medium, so erscheint die Frage plausibel, was an diesem Medium im Vergleich
zu anderen das Charakteristische sei, um über die Charakteristika
darauf zu schließen, wann und warum der Tanz als Medium zur künstlerischen
Artikulation einem anderen Medium gegenüber präferiert werden
könnte:
Die Flüchtigkeit des Tanzes, seine Existenz in der ständigen
Transformation legt den Schluss nahe, dass der Körper in der Tanzperformance
letztlich auf die Auflösung, den Tod, die Abwesenheit verweist.
"Postdramatisches Theater
ist Theater des Präsens.(...)
Präsens ist notwendig Aushöhlung und Entgleiten der Präsenz.
Es bezeichnet ein Ereignis, das das Jetzt entleert und in dieser Leere
selbst Erinnerung und Antizipation aufleuchten läßt. Präsens
ist nichts, was sich konzeptuell fassen läßt, sondern ein mitzuvollziehender
Prozeß fortwährender Selbstteilung des Jetzt in immer neue
Splitter aus "eben noch " und "jetzt gleich". Es hat
mehr mit dem Tod als dem vielberufenen "Leben" des Theaters
zu tun. Heiner Müller: "Und das Spezische am Theater ist eben
nicht die Präsenz des lebenden Zuschauers, sondern die Präsenz
des potentiell Sterbenden."
Präsens in diesem Sinne einer schwebenden, schwindenden Anwesenheit,
die zugleich als "Fort", Abwesen, als Schon-Weggehen in die
Erfahrung tritt, streicht im postdramatischen Theater die dramatische
Repräsentation durch."3
Das sich entziehen, das Verschwinden,
die Negativität sind ein Weg, Repräsentation und Identität
zu entgehen.
Diese Negativität ist das Sterben der singulären Ereignisse,
der Momente einer Live-Performance.
Die faktische Kopplung von Moment und Retention bzw. retentionaler Spur
stellt allerdings das Singuläre sowie dessen Tod in Frage:
"Das lebendige Präsens
entspringt aus einer Nicht-Identität mit sich und aus der Möglichkeit
der retentionalen Spur. Es ist allemal eine Spur. Diese Spur ist von einem
Präsens her undenkbar, dessen Leben sich selbst innerlich wäre.
Das "Sich" des lebendigen Präsens ist ursprünglich
eine Spur. (...) Denn die Ursprünglichkeit muß von der Spur
her und nicht umgekehrt gedacht werden."4
"Das Leben muss als Spur gedacht werden, ehe
man das Sein als Präsenz bestimmt."5
Das heißt, die Sterblichkeit des Körpers, die für die
(Tanz)performance von Relevanz ist, stellt
kein probates Mittel der Befreiung, der Loslösung von Repräsentation
und Identität dar.
The body is always becoming.
Und das ständige Werden entzieht sich der Festlegung, ohne die Vergangenheit
zu negieren.
In der Form von Verschiebung, Umgestaltung, Umfunktionalisierung scheint
Butlers Resignifikation als Taktik Sinn zu machen.
3.2
Das ständige Werden, die Bewegung des Körpers, der Tanz als
Flucht, (scheinbare) Befreiung?
Ist der Körper der Ort des Widerstandes, der Befreiung?
Was bedeutet es angesichts der Macht des Empire, im Sinne von Negri/Hardt,
auf "counterpower of the flesh"6
zu setzen? Einerseits ist der Körper im Foucaultschen Sinn die Einschreibefläche
von diskursiven Regimes, ein Effekt von Macht, andererseits schreiben
sich die Bewegungen des Körpers performativ in ihre Umgebung, bzw.
das Handeln in die soziale Ordnung ein.
Ja, der Körper kann nicht
völlig textualisiert werden und verbale Sprache sowie Text sind nicht
fähig, alles zu artikulieren. Die Materialität des Körpers
besitzt also ein bestimmtes Widerstandspotential. Der Körper weist
aber ein Gedächtnis auf und, was sich in den Körper einprägt,
wird erinnert, auch in der Bewegung, die sich nicht loslösen kann
von der Spur.
4.
Bedeutet aber postdramatisches Agieren, wenn nicht die Auflösung
sondern die Resignifikation von Performance, trotzdem ein Entsagen, einen
Entzug?
Wurde im Labor...2.2 an der unendlichen Fluchtlinie gearbeitet, haben
sich die PerformerInnen bei den öffentlichen Terminen des Labors...3.2
quasi der Performance entzogen.
Was ist es, dem sie entsagt haben?
Dem Event, dem Kick, der Intensität der Performance, dem intensiven
Sein innerhalb des "gesicherten" Rahmens. Der "gesicherte"
Rahmen ist die Konvention im Verhalten der beteiligten Personen: Er legt
fest, wie Leute, die Kunst praktizieren, etwas zeigen, tun, und wie BesucherInnen,
die bereit sind, sich auf Kunst einzulassen und meist etwas dafür
zahlen, einander begegnen. Die BesucherInnen sind gekommen, um etwas zu
erfahren - manchmal hat ihr Kommen mit Bildung, manchmal mit Unterhaltung
zu tun - und sie sind gekommen, um gesellschaftlich in Erscheinung zu
treten.
Sie haben sich entschieden, einen bestimmten Ort aufzusuchen. Es kann
davon ausgegangen werden, dass ihr Interesse, ihre Erwartungshaltung,
die sie denen, die Kunst praktizieren, entgegenbringen, grundsätzlich
konstruktiver Natur ist. Dieser Rahmen bietet Schutz, der etwas ermöglicht,
was außerhalb nicht oder wesentlich schwieriger möglich wäre.
Die PerformerInnen haben diese spezielle, höchst intensive Situation
lieben gelernt, und zwar so sehr dass der Entzug für sie schwierig
wird.
5.
Der Performance zu entsagen heißt den gesicherten Rahmen zu verlassen,
Partizipation zu ermöglichen, Raum zu schaffen für die Propriozeption7
aller Beteiligten.
Postdramatisches Agieren findet statt, wo sich die PerformerInnen entziehen,
wo partizipiert wird bzw. Rezeption eine stark aktive Komponente aufweist.
Das Labor für Performance und postdramatisches
Agieren basiert auf der Intention, dass
sich Theorie und Kunstpraxis auch aus geschützten Terrains wagen;
das bedeutet u.a. Verlagerung, Intervention, Taktik statt Strategie, Resignifikation
durch Queer Cooking statt Reproduktion der Spezialität des Hauses.
_____________________________
1) Emil Hvratin, in: Janus, 9/01, p.66
2)Ich möchte festhalten, dass ich im bzw. in direkter Verbindung
zum Release Technique Unterricht die in der Praxis nie stattfindende Reflexion
über kulturelle Konnotationen oder Einschreibungen, die Körperteile
aufweisen, höchst interessant fände.
Freilich schreibt sich auch jede Tanzästhetik und die mit ihr verbundene
Technik massiv in den Körper der TanzperformerInnen ein. Jede Tanzästhetik
ist in Verbindung zu ihrer Gesellschaft und deren Wertigkeiten zu sehen,
positioniert sich affirmativ oder subversiv zum Machtgefüge in der
Gesellschaft, zur Disziplinierung und kann von diesem vereinnahmt werden.
Exemplarisch hervorheben möchte ich, dass die Contact Improvisation
in ihrer Enstehung Anfang der 70-er Jahre ganz stark von der Revolte gegen
gesellschaftliche Normen geprägt war. Gegenwärtige Contact Improvisation
Praxen stehen aber großteils neben Wellness. Die "Befreiung
des Körpers" wurde auch hier funktionalisiert.
3) Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater; Verlag der Autoren, 1999,
S. 259-260
4) Jacques Derrida bezieht sich hier auf Edmund Husserl.
Jacques Derrida, Die Stimme und das Phänomen, Frankfurt a. M.; Suhrkamp,
1979 (1976),
S. 142/143
5) Jacques Derrida, Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M.; Suhrkamp,
1976 (1967), S. 311
6) Michael Hardt bei der Plattform 1 der Documenta11, Wien, 2001
Hardt und Negri setzen hier auf das "Fleisch" und seine Potentialität,
seine irreduziblen Multiplizitäten als "powers of unbounded
invention".
7) Wahrnehmung des eigenen Körpers. Siehe dazu Marie-Luise Angerer,
body options: körper.spuren.medien.bilder; Turia + Kant, Wien, 1999,
S. 178
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