Im Zwischen von unsichtbaren Sprachmonumenten und sichtbarer Sprachlosigkeit von Nicole Haitzinger |
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Plötzlich und noch jetzt tauchen Gestalten, Figuren, Sprachszenen im Archiv meiner Erinnerung an das Labor 3.2 auf. Der erste Satz, der mich bei meinen Vorrecherchen fesselt ist ein Claudel Zitat in Merleau-Pontys Text über den Chiasmus: "Ein gewisses Blau des Meeres sei so blau, dass nur das Blut noch röter ist." Ein Satz, der sich in mich einschreibt, mich durch das Labor begleitet, eine Spur durch die Laborerfahrungen. Das Zwischen und Farben kristallisieren sich als mein Ausgangs- und vorläufiger Endpunkt des Labors heraus. Rot ist die Farbe der Ambivalenz, des vergossenen Blutes, Mordes, Wahnsinns, die Farbe der Liebe und des Schmerzes. Die Farbe Blau erfuhr ihre Aufwertung erst im Mittelalter. Bis dahin, von der Antike bis zum 12./13. Jahrhundert hatte sie eher inferioren Stellenwert. Zauberbücher des Mittelalters betonten und definierten sich durch blaue Farbigkeit. Der Gedanke der Zivilisation benützte Blau als Referenzfarbe, Insignien der Macht wurden mit der Farbe Blau bemalt. Michaela trägt im Labor blaue Kleidung, fast jeden Tag. Nur ihr Trainingsanzug ist weiß, ein Relikt. Gewaschen vom roten Blut des von Nitsch inszenierten Orgien Mysterien Theaters, an dem sie teilgenommen hat. Ihre Geschichte, die sie mit uns teilt, indirekt, subtil, nach einer Zeit der Annäherung, die Begegnungen im Zwischen erlaubt. Sie zeigt ihr Video, "Der Schlaf der Vernunft", in dem sie die Hände angegurtet hängend so lange geschlagen wird, 14 Minuten, bis sie in ohnmächtig wird. In der inszenierten Aktion ist auf Video nur mehr ihr Gesicht zu sehen, ein Close Up. Eine Narbe zeichnet sich in ihren Arm, ein Schnitt
mit einer Rasierklinge vor Publikum in L.A.. Ich blicke in ihre blauen
Augen, versuche das "Warum" zu erfassen und erinnere mich an
Momente meiner eigenen lebensgeschichtlichen, noch nicht "vergangenen"
Sprachlosigkeit und die verschiedenen Möglichkeiten der Artikulation. "NH: Ein Zeichen, eine Narbe ... Zeichen, Figuren, Sprachszenen, in diesem Interview werden die Erinnerungen und Erfahrungen des Labors re-kapituliert, in seinem etymologischen Sinn rückblickend verhandelt und in den Kontext "Körper Denken Sprache" gesetzt. Sprachlosigkeit kristallisiert sich für mich als der direkte und indirekte Fokus des Labors heraus. Sprachlosigkeit als "Schatten". Untot, da von einem lebenden Körper ausgehend, gebunden an den Körper, von ihm erzeugt. Passiv und dunkel. Schwarz ist die (Nicht-) Farbe der Intellektuellen, der Philosophie. Philosophie, dieses Wort altgriechischer Herkunft, - philosophos "Freund der Weisheit" aus philos "Freund" und sophos "geschickt", "weise" - begibt sich oft in eine Flucht in Begrifflichkeiten, die eine Erstellung von elitären Sprachmonumenten - fundiert auf Metaphysik, Transzendenz und Logik der Vernunft - propagiert. In meiner Kindheit hatte ich zwei imaginäre Freude, die meine Sprachlosigkeit der "realen" Welt gegenüber kompensierten. Diese zwei Freunde waren an zwei konkreten Orten in/an meinem Körper platziert, ich führte (?) sie an der linken und rechten Hand durch die Welt, durch mein Leben . Die Kommunikation mit mir selbst und der Welt war durch zwei konstruierte "andere" physisch verortet, fassbar, greifbar und für mich sichtbar. In meinem Gefühl der Unsichtbarkeit bedingt durch die kindliche Sprachlosigkeit generierte ich eine andere Art von Sichtbarkeit. Imaginäre Freunde, für die Außenwelt unsichtbar, doch durch die ich als Kind sichtbarer wurde. Einerseits für mich selbst, andererseits für die Außenwelt. Die Suche nach einer organischen, lebendigen Sprache und einem Denken, das sich im Körper lokalisiert lässt und durch diesen bewegt, ist nie abgebrochen. In bestimmten philosophischen Texten aller Epochen, spiegelt sich das Bekenntnis und die Aufforderung zum Performativen, Aktiven, zum Erlebnis, basierend auf einer Methodologie des Poetischen, des Kategorischen, der Intuition und des Enthusiasmus. Mehr oder weniger offen bekundet, spielerisch oder versteckt. Man denke nur an Nietzsche, seine Sprachlandschaften und Topografien, begriffliche Figuren voller Intensität und Lebendigkeit, die Kyniker der griechischen Antike oder Foucault, Deleuze, Bataille, Kristeva, deren Epizentrum mit der Ausformulierung eines neuen Individuums zusammenfällt. Texte, die sich im Zwischen bewegen, die einen hellen Lichtstrahl werfen, dessen Konturen schemenhaft sind. Sonne und Feuer, die Farbe gelb taucht auf, im Mittelalter Farbe der Ver-rücktheit, der Hofnarren, der Nichtchristen, der Falschmünzer, der Sünden, der Angst und der Verfolgung. Das Mittelalter mit seinen Phantasmen, Drohungen, Traumerscheinungen und dem Glauben an die Apokalypse und an ein geheimnisvolles Schicksal der Welt. Die Malerei von Bruegel und Bosch mit ihrer intensiven Kraft der Enthüllung, die den Grenzmoment zwischen Sein und Nichts, das Delirium der reinen Zerstörung, die Verwobenheit der Erscheinung und des Geheimnisses, des Bildes und Rätsels ausloteten und somit einen (noch) tragischeren Wahnsinn der Welt bekunden.2 Foucault spürt dem Punkt Null der Geschichte des Wahnsinns als undifferenzierte Erfahrung nach. Im Vorwort zu "Wahnsinn und Gesellschaft" schreibt er: "Es bedurfte einer ziemlich neutralen Sprache, die relativ frei ist von wissenschaftlicher Terminologie, sozialen oder moralischen Operationen war, damit sie so nah wie möglich an jene primitiv miteinander verketteten Worte herankommen konnte und damit jede Distanz aufgehoben wurde, durch die sich der moderne Mensch gegen den Wahnsinn absichert. Diese Sprache musste aber offen genug sein, damit jene entscheidenden Worte ohne Verrat eindringen konnten, durch die sich die Wahrheit des Wahnsinns und der Vernunft für uns konstituiert hat."3 Eine Sprache des Zwischen. Eine Sprache, die nicht ALLES beschreiben, kategorisieren, verorten, definieren, postulieren will, sondern die mit einem organischen Textkörper ein mehrdimensionales Geflecht schafft, das den Lesenden ein Innehalten, einen vibrierenden Stillstand, ein Flackern der Gedanken ermöglicht; eine Pause. Martin Nachbar mag dieses Wort, auf meine Nachfrage erklärt er: "Pause ist weder Stille noch Bruch, sie ist beides, sowohl, als auch."4 In dieser Pause also können sich die Gedanken von der Struktur des Textes lösen und sich in den Körper hineinbewegen. Zurück zu Sprachmonumenten
vs. Sprachlosigkeit: "Retrospektiv fühlte ich mich IM Labor zwar nicht gut und scheiterte an der Vermittlung meines Denkens, meiner Methode (wie vielleicht für dich jetzt auch mehr spürbar ist), doch UM das Labor entwickelte sich ein kreativer Prozess, eine Eigendynamik, die mir, so stelle ich fest, mehr entspricht. Kollektive Gesprächsrunden, in die man sich "werfen" muss, ich denke an Pasolinis "den Körper in den Kampf werfen", ein Zitat das [Raimund] Hoghe immer wieder aufgreift, sind einfach schwierig für mich bzw. es braucht Zeit, Vertrauen zu entwickeln, sich anzutasten, einen Zeit-Raum zu schaffen, in dem sich die Teilnehmenden näher stehen."5 Das Zwischen liegt für mich im Kontakt, der Kommunikation mit anderen, die nicht schablonenartig funktioniert. "Vielleicht finden wir die Antwort im berührenden Abtasten, wo der Fragende und das Befragte näher beieinander sind?"6 -, Merleau-Pontys berührt dieses Zwischen. Im Kontext "Körper, Sprache und Politik" kann ein Zwischen die Möglichkeit der Auflösung von starren Formationen, die Dekonstruktion eines kollektiven Parteikörpers sein. Politik ist von einer Sprache der Parteizugehörigkeit mit Farbbekenntnis - rot, schwarz, blau, grün - geprägt. Bei Neo-Nazidemonstration gegen die Wehrmachtausstellung am Wiener Heldenplatz am 13. April 2002, bei der wir Laborteilnehmenden die PartizipantInnen interviewten, bewachten selbsternannte "Ordner" die Gruppe der DemonstrantInnen. An ihrem khakifarbenem Hemdsärmel eine rotes Band. Unweigerlich assoziiere ich damit die in der Zeit des Nationalsozialismus gebräuchlichen Uniformen der SA. Die Farbigkeit der Transparente, der Kleidung der Teilnehmenden verstärkt diesen Eindruck, mir läuft ein leiser Schauer über den Rücken. Ich wünsche im ersten Moment eine Tarnkappe, um die Flucht in die Unsichtbarkeit antreten zu können. Dieses körperliche Angstgefühl verbunden mit der sofortigen Stereotypisierung löst sich im Verlauf der nächsten Stunden langsam auf. Im Gespräch mit den Skinheads und den ehemaligen Wehrmachtssoldaten zeigen sich Wünsche, Hoffnungen, Ängste, individuelle Lebensgeschichten. Nervös zieht man an den Zigaretten, die Hände, die das Transparent hochhalten, zittern leicht, fast unmerklich. Pauschalurteile sind leicht gefällt, doch längerfristig wenig effizient. Selbst philosophisch-politische Debatten über die Zunahme der Wählerstimmen von rechtspopulistischen Parteien bedienen sich Ausgrenzungs- und Abgrenzungsstrategien, illustrieren und skizzieren die Folgen, malen Negativbilder einer zukünftigen Gesellschaft. Der Diskurs beruft sich oft noch immer auf das Ursache-Wirkungsprinzip, - ohne das Zwischen mitzudenken. Analysiert man gesellschaftspolitische Modelle, erkennt man, dass diese oft eine homogene Gesellschaft preisen. Rechtspopulisten operieren mit einer Mystifizierung der Gemeinschaft und idealisieren die Formation eines kollektiven Körpers, der aus den einzelnen Personen besteht.7 Oliver Marchart skizziert in seinem Artikel "Kunst, Raum, Öffentlichkeit(en)" das Konzept einer radikalen und pluralen Demokratie auf der Grundlage einer Institutionalisierung von Konflikt und kommt zur Conclusio: "Öffentlichkeit ist also kein Konsensraum, sondern ein Dissensraum." "Öffentlichkeit entsteht dort, wo der Konsens zusammenbricht und [...] immer wieder vorübergehende Allianzen artikuliert werden müssen."8 Also keine Formation eines einheitlichen Gesellschaftskörpers, sondern eine Pluralität von sich artikulierenden Körpern, die freie Zirkulation von Meinungen und Ideen erlaubt. Wo sind die Räume, in denen Kommunikation, Dissens, und eine Dynamisierung des Denkens stattfinden kann? Wo beginnt die differenziertere, nuanciertere Auseinandersetzung, die komplexe gesellschaftliche Strukturen erkennt, sich dem Dissens stellt und neue Versuche startet? Zunächst ist die kritische Haltung von Kunst fundamental für eine Gesellschaft, die mit ihren systematisierten Strukturen und Hierarchien wenig spielerischen "Denkraum" lässt. Kunst kann Räume öffnen, in denen die Logik des Absurden, das Spiel als bewegendes Prinzip, Humor, Provokation, Ironie, Dekonstruktion, Kühnheit, Traum, Phantasie, Geschwindigkeit, Libertinage, Körperlichkeit, Radikalität, Enthusiasmus, Improvisation, Aleatorisches, Dynamisches und Mehrschichtigkeit, nicht codierte, neue Beziehungen experimentell erforscht und kommuniziert werden.9 Am Ende dieses Artikels über
das Labor 3.2 steht das Plädoyer - im etymologischen Sinne der Willensäußerung
und des "Gefallens" - für diese Mehrfarbigkeit von Kunst;
eine Buntheit, die den Dissens mit Respekt vor dem Fremden, das Zuhören,
das Erlauben und die Pluralität und Öffnung nach innen und nach
außen anstrebt. _________________
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